Die Veranstaltung "Angst im technisierten Leib" findet leider nicht statt.
Unser Freund und Genosse Willi Hajek ist am Montag, den 3. Oktober 2022 in Marseille gestorben. Er ist 76 Jahre alt geworden. Willi war ein Wegbegleiter der jour fixe initiative berlin, er hat zwei Vorträge über Fabrikbesetzung und Organisierung gehalten und einen Aufsatz in einem unserer Sammelbände veröffentlicht. Willi kam aus einer Mannheimer Gewerkschaftsfamilie, studierte in Frankreich an der berühmten Vincennes Universität bei Alain Badiou und war über 30 Jahre im Bildungsbereich für Betriebsrätinnen und freischwebende Linksradikale tätig. Willi versuchte den französischen Kampfgeist temperamentvoll an die deutsche Linke weiterzugeben. In seinen Seminaren in Frankreich – Paris und Marseille – brachte Willi die unterschiedlichsten Linken zusammen, die sich nicht unbedingt an einen Tisch setzen würden. Die Versammlung von Menschen für Klassenkampf und Revolution war eine von Willis großen Stärken. Seine Diskussionsbereitschaft und Offenheit für soziale Bewegungen war unerschöpflich. Durch seinen Umzug nach La Ciotat wegen seiner großen Liebe Lila intensivierte Willi den Austausch über internationale Kämpfe. Es ist sein Verdienst, die Gelbwesten in der deutschen Linken bekannt gemacht und ihr linkes Potential erkannt zu haben. Willis untrüblicher Optimismus die politische Entwicklung wie sein eigenes Leben betreffend waren unvergleichlich. Auch deshalb ist es schwer zu begreifen und zu akzeptieren, dass er nicht mehr bei uns ist.
Es ist bemerkenswert, wie schnell Impfstoffe gegen das Corona-Virus entwickelt wurden und es sagt alles über den gesellschaftlichen Zustand, dass diese dem globalen Süden vorenthalten werden. Hierin zeigt sich die fundamentale Ambivalenz von Wissenschaft und Technik, in denen sich potenzieller Fortschritt und reale Ungleichheit vermengen. Dabei geht es nicht ausschließlich um Verteilungsfragen. Technik und Wissenschaft selbst sind gesellschaftlich konstituiert und dies bedeutet unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen von Herrschaft durchdrungen. Wie also mit Technologie umgehen, wenn diese Leid mindern kann, aber neues Leid erzeugt, wenn sie herrschaftlich verfasst ist, aber über Herrschaft hinauszuweisen vermag?
Aufgrund ihrer engen Verknüpfung mit militärischer und patriarchaler Gewalt, kapitalistischer Ausbeutung und Zerstörung der Natur ist die Geschichte der Technologie weder „unschuldig“ noch neutral. Technik wurde als Mittel der Kolonisierung eingesetzt und heutige Innovationen basieren nicht selten auf Rohstoffen, die unter postkolonialen Ausbeutungsverhältnissen gewonnen werden. Die hegemoniale Vorstellung von technischem Fortschritt und die ihr zugrunde liegenden Ideen von Aufklärung und Rationalismus sind eng mit den Herrschaftsansprüchen des globalen Nordens verflochten. Zwar tritt die technologische Entwicklung mit dem Anspruch auf, universalistisch dem Wohl aller Menschen zu dienen, tatsächlich bleibt sie aber den partikularen Interessen postkolonialer Metropolen verpflichtet. Damit stellt sich die Frage, wie die Verzahnung des technologische Fortschrittsversprechens mit der europäischen Moderne gelöst werden kann.
Marx betont den dialektischen Charakter moderner Technologie: an sich ein Mittel für freie Zeit und Reichtum für alle, ist sie im Kapitalismus ein Mittel zur Ausbeutung und Kontrolle. Er versteht Technik im Kontext von Klassenkämpfen als Herrschaft und zugleich als Produktivkraft sozialistischer Gesellschaft. Die Kritische Theorie entwickelt aus dieser Dialektik eine Kritik der instrumentellen Vernunft. Die Instrumentalisierung der Dinge wird zur Fessel der Befreiung, weil sie die Instrumentalisierung des Menschen zur Folge hat. Sie wird schließlich zu einer Quelle von Zerstörung und Vernichtung. Beherrschung der Natur bedeutet auch immer Beherrschung jener Körper, die in besondere Nähe zu dieser Natur gerückt werden, feminisierte und kolonisierte Körper zuallererst. Herrschaft über Natur und Herrschaft über Menschen lassen sich nicht voneinander trennen.
Dennoch dominierte in der Linken häufig ein binäres Denken: Maschinenstürmerinnen wollten mit der Vernichtung des Webstuhls das Übel bei der Wurzel packen, Philosophen wie Ernst Bloch dagegen hielten die sozialistische Atomkraft für einen Segen. Während einige vor einem orwellschen Überwachungsstaat warnten, feierten andere das WorldWideWeb als die freieste Kommunikation aller Zeit. Heutzutage wird diskutiert, ob Amazon als Vorschein des Sozialismus verstanden werden könne, schließlich sei mit den digitalen Plattformen endlich das Instrument für eine gelingende Planwirtschaft gefunden. Solche Thesen sehen entweder in der Technik oder in der gesellschaftlichen Herrschaft das Hauptproblem. Tatsächlich aber handelt es sich um ein dialektisches Konstitutionsverhältnis, denn die Gesellschaft reproduziert sich durch ihre technologischen Errungenschaften, während die Technik umgekehrt gesellschaftlich verfasst ist. Exemplarisch zeigt sich dies in Bereichen wie Ökologie, Arbeit und Medizin.
Die ökologische Krise ist keine Folge der Technik an sich, sondern ihrer gesellschaftlichen Verfasstheit. Ihre Ursachen liegen in der kapitalistischen Produktion, Konsumtion und Distribution, die am Profit, nicht am Wohlergehen des Planeten, der Menschen oder wenigstens dem Überleben aller interessiert ist. Und dennoch sparen die meisten Analysen der Klimakatastrophe die fundamentalen gesellschaftlichen und ökonomischen Ursachen aus. Keine Krise scheint verheerend genug, um die Grundorientierungen des Kapitalismus auszuhebeln. Das lässt für die ökologische Krisendynamik das Schlimmste befürchten.
Die Arbeitsrealität wird seit Erfindung des mechanischen Webstuhls von Technik bestimmt und permanent verändert. Heute üben Digitalisierung und KI-gestützte Technologie eine immer präzisere Kontrolle über Arbeiter*innen aus, erfassen neben leistungsbezogene auch personenbezogene Daten wie Gesundheit oder Resilienz. Für die Lohnarbeitenden bedeutet dies Zwang zu permanenter Anpassung an den Takt sich fortwährend wandelnder Technologie und damit Stress, Überforderung und Burnout. So sind Überwachung, Arbeitsverdichtung oder Jobverlust die offensichtlichsten Folgen des digitalen Kapitalismus. Andererseits entfaltet die hoch technologisierte Produktion eine Produktivkraft von fantastischen Ausmaßen, die das notwendige Maß an Arbeit krass reduzieren könnte.
Im Gesundheitsbereich verschmelzen die Grenzen von Mensch, Tier und Maschine zunehmend. Technische Mittel wie Herzschrittmacher oder Organimplantate verändern das Verhältnis von Körper und Technik. Diese medizinischen Fortschritte können menschliches Leben verlängern und verbessern. Wer jedoch Zugang zu welchem Gesundheitssystem, zu welcher Behandlung und zu welchem Medikament hat, ist eine Frage globaler Klassenverhältnisse. Aber darüber hinaus offenbart sich in der wissenschaftlich-technischen Entwicklung der Medizin eine Horrorvision: die grenzenlose Machbarkeit des Menschen in seiner Körperlichkeit als Vision des Transhumanismus. Wäre das die Vollendung des instrumentellen Naturverhältnisses, der Körper als Artefakt? Auf dem Weg entfremdeter Perfektionierung des Leibes sind Menschen am Ende Technik.
Aber steckt in dieser Horrorvision nicht auch ein radikaler Widerspruch zur völligen Instrumentalisierung von Subjekten, Gesellschaft und Natur, das utopische Moment eines (Kom)posthumanismus? Stellt solche Technologie nicht die Vorstellung eines Subjekts infrage, das sich als Gegenüber der Natur als herrschaftliches konstituiert? Hat sie das Potential, die Subjekt-Objekt-Dichotomie zu subvertieren, die die erkenntnistheoretische Grundlage moderner Naturbeherrschung ist? Können in der Physikphilosophie entwickelte quantentheoretische Denkmodelle helfen, die instrumentelle Vernunft zu überwinden und damit Grundlagen für ein queeres statt dichotomes, ein beziehungsreiches statt herrschaftliches Geflecht von Menschen, Tieren und Dingen zur Verfügung zu stellen? Der philosophische und herrschaftskritische Reiz daran ist, dass die Grenzen zwischen Dingen, Tieren und Menschen durchquert werden, Grenzen, die bislang gleichbedeutend mit Herrschaftsverhältnissen sind. Donna Haraway stellte bereits im „Cyborg Manifesto“ die Grenzen zwischen Mensch, Tier und Technik aus feministischer Perspektive radikal in Frage. Sie begreift Technologien als Teil des menschlichen Körpers und verabschiedet sich von der Möglichkeit einer „reinen“ Natur wie eines „reinen“ Subjekts. Damit schwindet das Phantasma einer unschuldigen Technik, die Grenzen zwischen Leib und Seele, Natur und Gesellschaft, Tier und Mensch geraten in Bewegung. Cyborgs navigieren in komplizierten Technoscience-Landschaften und leben in einer Vielfalt von menschlichen und nicht-menschlichen Verbindungen.
Die utopische Infragestellung scheinbarer Gewissheiten hilft, der Versuchung zu widerstehen, sich zwischen einem fortschrittlichen und einem herrschaftlichen Charakter von Technik zu entscheiden, und die Ambiguitäten von Technik und Wissenschaft zu sehen. Es geht darum, sich nicht weiter im Kreis der eurozentrischen Konzeption von technischem Fortschritt zu drehen und den aktuellen Fragen von technologisierter Arbeitswelt, medizinischer Leibgestaltung, digitalem Kapitalismus und ökologischem Krisenmanagement auf den Grund zu gehen. Die Grundprobleme der Technikwerden sich nicht rein technisch lösen lassen. Sie bedürfen zugleich einer gesellschaftlichen Umwälzung.
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Auch diese Reihe muss die Corona-Infektionslage berücksichtigen. Stand heute, Ende Mai 2022, gehen wir erst einmal davon aus, bis einschließlich August die Veranstaltungen in Berlin und Frankfurt a.M. präsentisch durchzuführen. Im September kann Peter Redfield uns aus Los Angeles nur per Zoom zugeschaltet werden.
Danach, also die Veranstaltungen im Oktober, November und Dezember, planen wir im ZOOM-Modus. Unter dieser Verbindung sind wir zu erreichen: https://us02web.zoom.us/j/89944498068
Und eine letzte Sache bitten wir noch zu beachten: Die ersten beiden Veranstaltungen, also mit Michael Koltan und Simon Schaupp, finden auch einen Tag später in Frankfurt statt. Näheres findet ihr bei dort bei den Einzelterminen.
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