Informeller Ausnahmezustand in Kolumbien

Die kolumbianische Gesellschaft ist seit Jahrzehnten von Krieg und seit 25 Jahren von der Gewalt paramilitärischer Gruppen geprägt. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung hat Vertreibung, Misshandlung, Folter und Mord erlebt. In der Friedens- und Konfliktforschung wird diese omnipräsente Gewalt ausschließlich als zerstörerisch interpretiert. Doch Machtausübung, gerade in ihrer brutalsten Form, wirkt stets auch produktiv: Sie stellt neue gesellschaftliche Ordnungen her und bringt neue soziale Beziehungen hervor, die ihrerseits ökonomisch oder politisch funktional sein können. In diesem Sinne diskutiert der Vortrag die Frage, inwiefern die Entfesselung von Gewalt in Kolumbien als „informeller Ausnahmezustand“ verstanden werden muss und wie auf diese Weise Staatlichkeit und verbesserte Investitionsbedingungen durchgesetzt werden. Im Besonderen sollen Phänomene diskutiert werden, die über das Fallbeispiel Kolumbien hinausweisen: Die Irregularisierung und Privatisierung von Kriegen sowie die Bedeutung gesellschaftlicher „Schocksituationen“.